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Die außenpolitische Debatte in den USA

16. Mai 2008
Von Joscha Schmierer

In welcher Welt sich wie bewegen?

Von Joscha Schmierer

Bis vor kurzem schien in den USA für viele ihrer außenpolitischen Experten alles klar: Die einzig verbliebene Supermacht hatte nach dem Ende der bipolaren Blockordnung den unipolaren Moment zu nutzen, um die Welt neu zu ordnen. Die Zeit vor dem 11. September 2001 schien verplempert, weil aus der Unipolarität kein Profit geschlagen worden war. Der alte Bush hatte den Golfkrieg nicht bis zum Sturz von Saddam Hussein und zur Eroberung und Besetzung Bagdads durchgezogen. Clinton war nur ein Springinsfeld. Erst die „Bush-Doktrin“ machte mit der Hypermacht ernst. Kein Staat solle ungestraft Terroristen beherbergen. Afghanistan war die erste Phase des Krieges gegen den Terrorismus. Die USA würden es niemand von der „Achse des Bösen“ erlauben, sie mit Massenvernichtungswaffen zu bedrohen. Sie würden gegen potentielle Bedrohungen schon vorgehen, bevor sie akut werden. Irak leitete die zweite Phase des Krieges gegen den Terrorismus ein. In dieser Phase verfolgte die amerikanische Politik das Ziel, die Welt so zu ordnen, dass die USA von niemandem mehr bedroht wird, weil die Welt wie die USA funktioniert. Demokratische Mission im Äußeren und innere Sicherheit der USA waren in diesem Verständnis zwei Seiten einer Politik, die den unipolaren Moment zu nutzen versprach. Man weiß nicht genau, ob diese Phase beendet ist, weil gescheitert, oder ob sie einfach fürs erste im Sand verlaufen ist.

Der unipolare Moment war eine narzisstische Illusion. Da sie bei Bush in einem kreationistischen Messianismus verankert ist, kann er kaum von ihr lassen. Es klingt ja nicht unsympathisch, wenn Bush verkündet: „Die Freiheit, die wir meinen, ist kein Geschenk Amerikas an die Welt, sondern Gottes Geschenk an die Menschheit.“  Tatsächlich aber erklärt Bush die USA damit zum Vollstrecker von Gottes Willen. Jetzt wo seine Präsidentschaft auf Grund der irdischen, gut austarierten amerikanischen Verfassung definitiv zu Ende geht, wird mit seiner Politik zunehmend auch die Vorstellung der Unipolarität, die ihr zugrunde liegt, in Frage gestellt und überwunden. Die Staaten und Gesellschaften der Welt richten sich nicht wie Metallspäne auf die „einzig verbliebene Supermacht“ aus. Sie beweisen Eigensinn. Damit wird für die USA die Frage wieder interessant: Was denken und machen die Anderen? Wie sollen sich die USA in einer Welt verhalten, die sie nicht allein und nach ihrem Bild gestalten können, erst recht nicht schnell und gewaltsam.

Einige Aufsätze und Bücher wurden in den letzten Monaten in den USA veröffentlicht, deren Titel schon das veränderte Klima in der außenpolitischen Community illustrieren: „A World Without the West“ von Naaznen Barma, Ely Ratner und Steven Weber in National Interest vom Sommer letzten Jahres, dann in diesem Jahr „Waving Goodbye to Hegemony“ von Parag Khanna im New York Times Magazine, „The Future of American Power. How America can survive the Rise of the Rest” von Fareed Zakaria und “The Age of Nonpolarity. What will follow U.S. Dominance” von Richard Haass, beide in Foreign Affairs. Manche dieser Artikel sind Vorabdrucke aus Büchern, die auch auf Deutsch erscheinen werden.

Robert Kagan dagegen, auch er bald mit einem neuen Buch auf dem Markt, hält unverdrossen fest: “Die Welt bleibt ‘unipolar’ mit den USA als einziger Supermacht“. Das schrieb er in „End of Dreams, Return of History“ im Juli des vergangenen Jahres. Doch fügte er hinzu: „Allerdings ist der internationale Wettstreit unter großen Mächten zurückgekehrt mit den Vereinigten Staaten, Russland, China, Europa, Japan, Indien, Iran und anderen, die auf regionale Vorherrschaft aus sind.“ In der Übersetzung aus Policy Review, die im Merkur veröffentlicht wurde, ist die Behauptung von der anhaltenden Unipolarität unterschlagen. Freilich bleibt Kagans Festhalten an der neokonservativen Grundannahme analytisch auch weitgehend folgenlos. Tatsächlich sieht er die heutige Welt von einer tiefgehenden Divergenz geprägt: „Der globale Wettstreit zwischen demokratischen Regierungen und autokratischen Regierungen wird zu einem entscheidenden Charakteristikum der Welt des 21. Jahrhunderts werden“, schreibt er in „The End of the End of History“, einem gerade in The New Republic erschienenen Artikel. Dort zitiert er zugleich zustimmend den russischen Außenminister Lawrow, der in einem Wettstreit der Wertesysteme und der Entwicklungsmodelle die „Grundlage einer multipolaren Weltordnung“ sieht. So werde, meint Kagan, die Welt des 21. Jahrhunderts weniger der Welt des Kalten Krieges als der des 19. Jahrhunderts gleichen. In einer Welt der Rivalität unter großen Mächten bildet  für ihn damals wie heute der Wettstreit zwischen Demokratie und Autokratie die Grundstruktur der epochalen Auseinandersetzung und die Wegscheide des strategischen Engagements.         

Anders als erhofft sei die liberale internationale Ordnung nicht naturwüchsiges Ergebnis der wirtschaftlichen Globalisierung. Der Wiederaufstieg der großen autokratischen Mächte hätte ebenso wie der reaktionäre islamische Radikalismus die liberale internationale Ordnung, die aus den Siegen im Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg hervorging, geschwächt. Beide drohten sie in den kommenden Jahren weiter zu schwächen. Kagan folgert: „Die Demokratien der Welt müssen beginnen, darüber nachzudenken, wie sie ihre Interessen schützen und ihre Prinzipien voran bringen können in einer Welt, in der diese einmal mehr massiv und mit Macht bestritten werden.“

Man kann diese Meinung teilen, ohne die Analyse teilen zu müssen, aus der sie Kagan als Fazit zieht. In dieser Analyse ist Polarität durchgehend das bestimmende Prinzip: Multipolarität der großen Mächte, Bipolarität von Demokratie und Autokratie sowie Unipolarität im Lager der Demokratie, das die USA als einzig verbliebene Supermacht um sich sammelt. Eigentlich herrscht Ordnung in Kagans Welt.

Eine geradezu entgegen gesetzte Analyse legt Richard Haas mit „The Age of Nonpolarity“ in Foreign Affairs vor. Der unipolare Moment sei unwiederbringlich dahin. Die USA seien zwar nicht schwächer geworden, aber viele andere Akteure, andere Staaten, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen etc. seien unaufhaltsam stärker geworden. Die Politik der USA hätte das Aufkommen anderer Machtzentren zusätzlich beschleunigt und die eigene Position ihnen gegenüber geschwächt. Die heutige Welt sei eher durch Diffusion von Macht als durch Machtkonzentration geprägt. Auf die Unipolarität folge weder Bi- noch Multipolarität. Sie werde von „non-polarity“ abgelöst. Einfacher werde die Welt dadurch nicht. Gemeinsame Antworten auf globale Probleme zu finden und Institutionen in Gang zu setzen, werde schwieriger. Die Bedrohungen würden sich vervielfachen. Es werde schwieriger, Beziehungen aufzubauen und zu erhalten. Die USA könnten sich den Luxus einer Außenpolitik nach dem Motto „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“ nicht länger leisten. Aber diesen Luxus könne sich auch sonst niemand gönnen. Nur Ziel führende Diplomatie, kreativer und gemeinsamer Wille könne verhindern, dass eine nicht-polare Welt chaotischer und gefährlicher werde. Nicht-Polarität bedeutet eine ordnungspolitische Herausforderung. Die USA könnten die Chancen erhöhen, dass die nichtpolare Welt zu keinem Hexenkessel wird.

Sie dürften dann allerdings, mahnt Fareed Zakaria,  sich nicht selbst verschließen, während die Welt sich öffnet: „Vielleicht könnten Generationen nach uns Historiker über unsere Zeiten schreiben, dass die USA zur Wende des 21. Jahrhunderts mit ihrer großen historischen Mission erfolgreich waren, die Welt zu globalisieren. Wir wollen nicht, dass sie schreiben werden, wir hätten unterwegs vergessen, uns selbst zu globalisieren.“ Das steht in dem Kapitel aus „The Postamerican World“, das Newsweek vorabgedruckt hat.

In der nichtpolaren Welt sind die Leitplanken nicht so deutlich zu sehen, die Kagan mit dem Gegensatzpaar Demokratie-Autokratie zu befestigen sucht. Idealtypisch funktioniert das, real sind die Übergänge in der globalisierten Welt oft fließend. Nicht nur hier benutzt Kagan Idealtypen so, als beschrieben sie unmittelbar die Wirklichkeit. Gleichzeitig gibt er sich als deren illusionsloser Beobachter. Dieses Doppelspiel macht den makabren Reiz seiner Publikationen aus.

Demokratie ist immer besser als Autokratie, aber taugt die Unterscheidung, um die Welt in Lager einzuteilen? Und kann die Orientierung an einem demokratischen Lager Handlung leitend sein, wenn die führende Demokratie dabei ist, einen schweren und folgenreichen Fehler zu begehen? Darf man sich dann nicht gegen den Fehler wenden, weil Russland oder China mit autokratischen Hintergedanken ebenfalls der großen Demokratie widersprechen? Wird die Stärkung des demokratischen Lagers nicht gelegentlich verlangen, die Autokratien auseinander zu dividieren und die eine oder andere zu sich herüber zu ziehen? Die Leitplanke Demokratie vs. Autokratie ist gut gemeint, hält aber nicht gut.

Der unipolare Moment war vor allem eine Zeit der Selbstverbohrtheit. Er war mehr gefühlt als real. Wenn seine Wirkung auf das Gefühl jetzt nachlässt, ist die Zeit gekommen für eine transatlantische Diskussion der neuen internationalen Situation und der Möglichkeiten gemeinsamer Politik.

In der nächsten Folge dieser Kolumne sollen die Analysen von Naazneen Barma, Ely Ratner und Steven Weber sowie von Parag Khanna vorgestellt werden.

Bibliographische Hinweise:
Robert Kagan, End of Dreams, Return of History, in: Policy Review xx/2007 (www.hoover.org/publications/policyreview/8552512.html)
gekürzte deutsche Fassung in Merkur, November 2007
ders., The End of the End of History. Why the twenty-first century will look like the nineteenth, in: The New Republic, Published: 23. April, 2008 (http://tnr.com/story_print.html?id=ee167382-bd16-4b13-beb7-08effe1a6844)
Richard Haass, The Age of Nonpolarity. What Will follow U.S. Dominance, in: Foreign Affairs 5/6-08 (www.foreignaffairs.org/20080501faessay87304/richard-n-haass/the-age); Kurzfassung: What follows American dominion, FT 16.4.2008
Fareed Zakaria, The Future of American Power. How America can survive the Rise of the Rest, in: Foreign Affairs 5/6-08; ders., The Rice of the Rest, in: Newsweek vom 12.5.2008; beides Vorabdrucke aus Fareed Zakaria, The Post-American World (W.W. Norton & Company, Inc.) 2008